Im Rahmen der Gedenkveranstaltungsreihe ‚Düsseldorf erinnert – 80 Jahre Kriegsende und Befreiung‘ fand am 29. April 2024 ein History-Slam „Kriegsende und Neuanfang in Benrath“ im Schloss Benrath statt.
In der Art eines Slams präsentierten Schülerinnen und Schüler des Schlossgymnasiums und des Annette von Droste-Hülshof Gymnasiums ihre Texte zum Kriegsende und zum Neuanfang in Benrath. Es ging in den Texten um Zerstörung, Verlust, Vertreibung, Entnazifizierung, Wiederaufbau, Erinnerung und Verdrängung.
Der Text „Vorbei?“ der 13-jährige Emilie Bollack Kirazkaya und die Art ihres Vortrags haben haben mich tief beeindruckt. Emilie geht in Klasse 8E des Annette von Droste-Hülshoff Gymnasiums.
„Vorbei?“
Von Emilie Bollack Kirazkaya, März 2025
8. Mai 1945.
Der Krieg ist vorbei, sagen sie.
Steht in den Zeitungen,
wird auf den Straßen gerufen,
hängt auf den Plakaten,
flüstert durch die Ruinen,
als könnte man mit Worten
den Staub aus der Luft fegen.
Vorbei.
Ein Wort,
das viel verspricht,
aber wenig hält.
Denn wie fühlt sich „vorbei“ an,
wenn alles, was du kanntest,
was du geliebt hast,
in Trümmern liegt?
Wenn dein Zuhause
Nur noch Asche ist,
deine Familie
nur noch Namen auf verbranntem Papier?
Wenn deine Hoffnung
Mit jedem Bombenregen
ein bisschen mehr zerbröckelt?
Sie sagen, es ist vorbei.
Aber Ausschwitz steht noch.
Dachau.
Buchenwald.
Die Zäune sind offen,
die Wachtürme leer,
doch der Schmerz,
der bleibt.
Brennt sich ein.
In die Haut,
in die Seele,
lässt nicht los,
bis nichts mehr bleibt.
Befreit.
Ein schönes Wort.
Aber was ist Freiheit,
wenn du nicht mehr weißt,
wohin du gehen sollst?
Wenn deine Schritte leicht sind,
aber dein Herz schwer?
Wenn du dein Spiegelbild ansiehst
und dich nicht mehr erkennst?
Wenn du zu lange
Nur eine Nummer warst?
Unbeachtet.
Sie stehen an den Bahnhöfen,
mit Koffern,
die kaum gefüllt sind,
mit Augen,
die nichts erwarten.
Die Züge bringen sie irgendwohin,
aber nicht nach Hause.
Erinnerungen an Nächte ohne Schlaf,
an Hunger, der nie verging,
an Schreie, die im Wind verloren gingen,
an Hoffnung, die in den Lagern erstickte.
Trümmerfrauen stehen auf den
Straßen,
Gesichter ausdruckslos,
Rücken gebeugt,
Hände wund.
Sie schaufeln den Krieg
Stück für Stück aus den Städten,
bauen Stein auf Stein,
weil es weitergehen muss.
Weil aufgeben keine Option ist.
Die Männer kommen heim.
Oder das, was von ihnen übrig ist.
Manche von der Front,
manche aus Lagern,
manche nur halb.
Sie haben Dinge gesehen,
die man nicht erzählen kann.
Sie tragen den Krieg tief im Inneren,
wie eine Narbe,
die nicht heilt.
Und die Kinder?
Sie spielen.
Zwischen Trümmern,
zwischen Schutt und Asche,
sie lachen,
weil sie nicht wissen,
was die Erwachsenen wissen.
Sie bauen Burgen aus Steinen,
suchen Schätze in kaputten Häusern,
finden rostige Helme
und halten sie für Trophäen.
Für sie ist Krieg nur ein Wort,
noch keine Katastrophe.
Aber wie erklärt man ihnen,
dass die Welt nicht immer so gewesen ist?
Wie bringt man ihnen bei,
dass nicht jeder Schatten
eine Gefahr bedeutet,
nicht jeder Knall eine Explosion ist?
Wie gibt man ihnen ihre Unschuld zurück,
wenn sie in Trümmern aufgewachsen sind?
Der Krieg ist vorbei,
sagen sie.
Aber die Angst bleibt.
In den Straßen,
in den Köpfen,
in den Träumen,
die nicht geträumt werden wollen.
Die Schuld bleibt auch.
Sie haftet an den Wänden,
liegt in den Trümmern,
steht in den Blicken,
die sich abwenden,
wenn jemand fragt:
„Wusstet ihr es?“
Alle wussten es irgendwie.
Aber Schweigen ist einfacher
Als die Schuld einzugestehen.
„Nie wieder“,
sagen sie jetzt.
Nie wieder Krieg.
Nie wieder Ausschwitz.
Nie wieder Hunger?
Nie wieder Angst?
Aber wie hält man ein Versprechen,
wenn die Narben noch frisch sind?
Wenn Hass sich festgesetzt hat,
wenn die Angst noch immer
wie ein düsterer Schatten
über allem liegt?
Wie vergibt man,
wenn das,
was verloren wurde,
nicht zurückkommt?
Und doch, –
da ist auch Hoffnung.
Wenig,
fast unsichtbar –
aber sie ist da.
In den Händen,
die einander halten.
In den Kindern,
die lachen,
obwohl Erinnerungen
an das Leid bleiben,
weil sie glauben,
dass es auch anders sein kann.
Langsam,
fegt der Wind den Staub davon.
Langsam,
fangen sie an,
wieder an den Morgen zu denken.
Nicht, weil sie wollen,
sondern weil sie müssen.
8. Mai 1945.
Der Krieg ist vorbei,
sagen sie.
Aber vorbei –
Das ist nicht genug.
Vorbei ist nicht Frieden.
Vorbei ist nur
Der Anfang
Von etwas Neuem,
das erst wachsen muss.